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T wie Totentafel

 

Aus unserem SammlungsA-Z

 

Angeben kann man auch aus dem Jenseits.
Wie soll das gehen? Werfen wir einen Blick auf den Alten Aeschacher Friedhof.

Viele der Gräber auf dem im 16. Jahrhundert angelegten Friedhof zeugen noch heute davon, dass die Familien, die dort begraben liegen, einmal reich und wichtig in Lindau waren: Kaufleute, Bürgermeister, Stadträte und Zunftmeister ruhen hier in aufwendig gearbeiteten Familiengrüften.

Einige der wohlhabendsten Familien ließen insbesondere im 16. und 17. Jahrhundert Familientafeln für ihre Gruft anfertigen. Diese schweren Holztafeln bestanden in der Regel aus einem großen Mittelsegment und zwei je halb so großen Seitensegmenten. Einen Großteil der Zeit über waren die Tafeln zugeklappt, um die Innenseite vor Wettereinflüssen zu schützen. Geöffnet wurden sie nur zu besonderen Anlässen. Was die Grabbesucher dann zu schauen bekamen, können wir beispielsweise an der Tafel der Familie Bertsch (ÖAKD. 44)  sehen, welche der Richter und Bürgermeister Andreas Bertsch (1591–1664) zwei Jahre nach Ende des Dreißigjährigen Krieges stiftete.

Ein wahres Farbenspektakel kommt einem da entgegen! Detailreiche Malereien, Verzierungen und Texte schmücken das Innere der Tafel. Dabei fällt aber schnell auf, dass die Erfahrung von Krieg, Entbehrung und Pest ist überall in den Malereien der Tafel deutlich eingeschrieben.

Im mittleren Segment, in welchem die verstorbenen Familienmitglieder dargestellt werden, fällt beispielsweise auf, dass die Familie Bertsch innerhalb von etwa 30 Jahren elf Kinder verlor, sechs davon im Säuglingsalter. Ebenso wie der Tod von Müttern im Kindsbett war das im 17. Jahrhundert keine Seltenheit.
Oberhalb des Familienbildes sowie auf den Seitenpanelen sind Szenen zu sehen, welche Themen aus der christlichen Heilsgeschichte und –lehre auffassen und die Lebenden an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens sowie die Erlösung vom irdischen Leid durch Jesus Christus erinnern soll.
In einer Szene etwa vergibt Jesus den armen Sündern, die vor ihm knien. Die Pfeile in ihrer Brust sind ein im 17. Jahrhundert gebräuchliches Symbol für eine Pesterkrankung.
In einer anderen Szene sitzt ein Richter zu Gericht – in Anspielung auf den Beruf des Stifters. Gerichtet wird hier jedoch der Richter selbst. Hinter ihm bricht der Tod in Form eines Skeletts den Richterstab über ihn – eine Erinnerung an die Endlichkeit und Bedeutungslosigkeit jeder irdischen Macht.

Die Totentafeln, von denen das Museum Lindau neben der Bertsch’schen noch weitere in seiner Sammlung besitzt, sind lehrreiche Zeugnisse aus der Zeit des frühen Protestantismus in Lindau. Sie sind gleichzeitig Angeberei und Mahnmal gegen die Eitelkeit und verkörpern damit das widersprüchliche Selbstverständnis des frühen evangelischen Patriziers: selbstbewusst, ehrgeizig und arbeitsam auf der einen Seite, tief gläubig und demütig auf der anderen.

Wer die Totentafel der Familie Bertsch einmal in echt sehen möchte, der kann das ab nächstem Jahr im neueröffneten Museum Lindau tun.

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